Was ist Alexandertechnik … und was ist sie nicht?

Wenn in Gesprächen das Thema darauf kommt, daß ich die Alexandertechnik unterrichte, geht oft direkt ein Ruck durch die Reihen der Zuhörer, und zwar im ganz wörtlichen Sinne. Fast jeder, der das Wort schon einmal gehört hat, verbindet es mit einer quasi besenstielartigen Haltung – der Kopf wird in der Regel nach hinten gezogen, man sitzt auf der Stuhlkante und macht es sich ganz allgemein so unbequem wie möglich.

Was das mit Alexandertechnik zu tun hat, weiß ich nicht, es zeigt aber, daß das Allgemeinwissen über dieses Thema recht begrenzt, und vor allem oft falsch ist.

Also: Es geht in der Alexander-Technik NICHT um Körperhaltung. Ebenso ist es KEINE Therapie von Rückenschmerzen und und KEIN Trick, mit dem Musiker schneller musizieren können. All diese Dinge können zwar im Lauf des Unterrichts auftreten, sind dann aber nur Begleiterscheinungen dessen, was eigentlich geschieht.

Das, was der alte Frederick Matthias Alexander entwickelte und uns überliefert hat, ist im Wesentlichen ein System, wie wir mit Impulsen aus unserer Umwelt bewußt umgehen können. Das klingt erst einmal sehr abstrakt.

Ein Impuls in diesem Sinne kann so ziemlich alles sein, was wir mit Körper und Geist wahrnehmen können. Auf der simpelsten Ebene kann das ein Befehl sein, den wir bekommen und dann ausführen. Wenn wir den gleichen Befehl immer wieder ausführen, wird er uns so vertraut, daß unser Ausführen quasi automatisch wird. Wir denken gar nicht mehr darüber nach. Nach einem ähnlichen Muster funktioniert der berühmte “Pawlowsche Hund“: Da er immer dann Futter bekam, wenn ein Glöckchen klingelte, reagierte sein Körper nach einer Weile automatisch mit Speichelfluß, wenn auch nur das Glöckchen klingelte, ohne daß es Futter gab. Die Reaktion hat sich also verselbständigt.

Wenn wir genau hinschauen, finden wir solche Muster praktisch überall in unserem Leben, ob morgens beim Aufstehen (wir putzen unsere Zähne, ohne es überhaupt zu bemerken), beim Autofahren (wer denkt noch über das Kupplung-Treten nach?), und im Umgang mit unseren Partnern und Mitmenschen (wie viele “Ja, Schatz” sind wohl bewußt ausgesprochen und gefühlt?). Das ist auch erstmal gar nicht schlimm: Unbewußte Muster sparen Denk- und Reaktionszeit und schaffen Raum für anderes (Wir müssen unsere Unterhaltung beim Autofahren also nicht jedesmal unterbrechen, wenn wir die Kupplung treten).

Problematisch kann es werden, wenn nicht nur die Reaktion, sondern auch der Befehl selbst sich ins Unterbewußtsein verschiebt. Dann beginnen wir, auf Befehle/Stimuli automatisch zu reagieren, von denen wir gar nicht (mehr) “wissen”. Nehmen wir zum Beispiel einen Musiker, der beim Spielen immerzu krampfhaft seine Schultern nach oben zieht (vielleicht hat ihm das ein Lehrer unter der Idee von “aufrecht sitzen” beigebracht). Das ist ihm nicht bewußt, er hält es für seine “normale” Haltung beim Spielen. Mit der Zeit bekommt er Schulter- und Rückenprobleme und glaubt, das Spielen des Instruments bereite ihm diese Schmerzen. Das ist zwar falsch, für ihn aber die einzig mögliche Erklärung, da die Schmerzen immer dann auftreten, wenn er spielt. Sein Körper reagiert auf einen Impuls, den der Körper ihm selber gibt. So hat er sich selbst überlistet und hat mit seinem Bewußtsein keine Möglichkeit mehr, an die eigentliche Ursache der Schmerzen zu kommen.

Hier kann nun die Alexandertechnik ansetzen: Im Grunde ist es die Aufgabe des Alexander-Lehrers, unbewußte, störende Muster des Klienten aufzuspüren und zurück ins Bewußtsein zu bringen. Es geht NICHT darum, diese Muster zu löschen, und im obigen Fall nicht darum, die Schultern des Musikers zu manipulieren/massieren/korrigieren. Wenn es dem Musiker aber gelingt, wahrzunehmen, daß er die Schultern in der Tat hochzieht, dann kann er sie auch Kraft seines eigenen Bewußtseins loslassen. Er erhält also die Entscheidungsfreiheit zurück, die Schultern entweder zu verspannen oder nicht zu verspannen, eine Option, die er vorher nicht (mehr) hatte.

Im “wirklichen” Leben geht diese Technik natürlich weit über das Beheben von Problemen beim Musizieren hinaus, und betrifft nicht nur körperliche, sondern auch mentale und seelische Muster. Vielleicht haben wir in der Kindheit gelernt, daß es “schlecht” ist, bestimmte Dinge zu tun, und seither vermeiden wir unbewußt alles, was auch nur so ähnlich aussieht wie dies verbotene Ding, bemerken aber schon längst nicht mehr, das wir das tun. Vielleicht haben wir uns verletzlich gefühlt und unseren Bauch angespannt, und das so oft, bis der Bauch sich automatisch verspannt, jedesmal wenn wir uns verletzlich fühlen, ohne das wir das überhaupt noch merken. Wir bemerken vielleicht nur, daß wir Magen- oder Verdauungsprobleme bekommen, können die Ursache aber nicht finden.

In dem Sinne kann Alexandertechnik vielerlei körperliche Leiden lindern und beheben, aber eben nicht dadurch, daß diese Leiden direkt angesprochen/behandelt werden, sondern dadurch, daß der Klient in die Lage versetzt wird, sich selber durch Bewußtmachen seines unbewußtes Handelns weniger selbst zu stören oder zu schaden.

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